Am Chemiestandort Leuna soll künftig eine neue Anlage die Stromüberschüsse aus Solar- und Windparks nutzen, um Prozessdampf zu erzeugen. Dann können hier die Gaskraftwerke heruntergefahren werden, und im Stromnetz gibt es etwas Entlastung für die Engpässe.

 

In diesem Gaskraftwerk soll künftig Dampf aus Strom erzeugt werden. Foto: Stefan Schroeter

Der Übertragungsnetz-Betreiber 50 Hertz und der Industrieversorger Infraleuna wollen eine Anlage für „Power to Heat“ (Strom zu Wärme) am Chemiestandort Leuna in Sachsen-Anhalt errichten. Einen entsprechenden Vertrag haben beide Unternehmen gestern unterzeichnet.

Die geplante Anlage besteht aus einem Elektrodenkessel mit einer elektrischen und thermischen Leistung von jeweils 35 Megawatt. Wie in einem elektrischen Wasserkocher wird darin Wasser durch Strom aus Solar- und Windparks erhitzt.

Auf diese Weise können pro Stunde 45 Tonnen überhitzter Prozessdampf erzeugt werden. Der Dampf soll anschließend in das Hochdruck-Dampfnetz des Chemiestandorts eingespeist und den ansässigen Unternehmen zur Verfügung gestellt werden.

Wie Infraleuna-Geschäftsführer Christof Günther sagte, erreicht der Elektrodenkessel ein Druckniveau von 47 bar/ü und eine Temperatur von 320 Grad Celsius. Das sei für diese Technologie bisher europaweit einmalig.

Die Kraftwerke von Infraleuna könnten künftig immer dann zurückgefahren werden, wenn die neue Anlage den Ökostrom aufnehme und in Wärmeenergie umwandle. Damit sei es möglich, den Einsatz von Erdgas zu reduzieren und einen großen Schritt in Richtung CO2-Neutralität des Standortes zu machen.

Sachsen-Anhalts Energieminister Armin Willingmann (SPD) bezeichnete die PTH-Anlage als wichtigen Baustein für eine klimafreundliche Industrie. Strom, der ansonsten abgeregelt werden müsste, werde künftig direkt in Wärme umgewandelt und genutzt.

 

„Nutzen statt Abregeln“

Die Anlage soll in einem bestehenden Gaskraftwerk des Industrieversorgers aufgebaut und im ersten Quartal 2026 in Betrieb genommen werden. Die Investitionskosten liegen bei 13,6 Millionen Euro und werden von 50 Hertz getragen.

Im Gegenzug kann 50 Hertz diese Anlage gemeinsam mit den Gaskraftwerken von Infraleuna für das sogenannte Engpassmanagement einsetzen, das auch unter der Bezeichnung „Redispatch“ bekannt ist. Das ist immer dann nötig, wenn in der Region mehr Solar- und Windstrom erzeugt wird, als über die Stromnetze in die süd- und westdeutschen Verbrauchszentren abtransportiert werden kann.

In solchen Stromüberschuss-Situationen wird unter anderem die Stromproduktion der Solar- und Windparks abgeregelt, um die Netze nicht zu überlasten. Die Parkbetreiber erhalten dann eine Entschädigung von den Netzbetreibern.

Der Stromüberschuss kann aber auch nach dem Prinzip „Nutzen statt Abregeln“ zur Wärme- oder Dampferzeugung eingesetzt werden. Das ist bei Kraftwerksbetreibern möglich, die gleichzeitig Strom und Wärme oder Dampf produzieren.

Für das Engpassmanagement fahren sie in ihren Kraftwerken die Strom- und Wärme- oder Dampfproduktion zurück. Zum Ausgleich erhalten sie dafür kostenfreien Überschuss-Strom von 50 Hertz, mit dem sie Wärme oder Dampf in der PTH-Anlage erzeugen können.

Die Kraftwerksbetreiber sparen damit fossile Brennstoffe – in Leuna ist es Erdgas – und reduzieren ihren Kohlendioxid-Ausstoß. 50 Hertz muss weniger Solar- und Windstrom abregeln und weniger Entschädigungen dafür zahlen.

 

Stadtwerke und erste Industriepartner

Der Übertragungsnetz-Betreiber baut derzeit eine ganze Reihe von Stromwärme-Anlagen nach dem Prinzip „Nutzen statt Abregeln“ mit verschiedenen Partnern. Zu den ersten Anlagen gehören Anlagen bei Stadtwerken in Hamburg und in Rostock, die schon im Jahr 2023 in Betrieb gingen.

Inzwischen folgten Anlagen in Neubrandenburg, Stralsund, Halle an der Saale und Leipzig.
Sie verfügen über eine Gesamtleistung von 185 Megawatt. Weitere Anlagen sind im Bau oder wurden unter Vertrag genommen.

Relativ neu ist die Zusammenarbeit mit Industriepartnern. Neben dem Projekt in Leuna will 50 Hertz auch eine PTH-Anlage bei BASF Schwarzheide in Brandenburg bauen. Sie soll über eine Leistung von 25 Megawatt verfügen und Ende 2026 in Betrieb gehen.

Gute Möglichkeiten dafür gibt es in vielen ostdeutschen Städten, die über eine gut ausgebaute Fernwärme-Versorgung verfügen. Sie befinden sich gleichzeitig im Netzgebiet von 50 Hertz, wo mit dem weiteren Ausbau von Wind- und Solarparks auch die zeitweiligen Stromüberschüsse weiter wachsen werden.

Wie 50 Hertz-Geschäftsführer Dirk Biermann gestern in Leuna sagte, könnte die Gesamtleistung der PTH-Anlagen noch auf mehrere hundert Megawatt anwachsen. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass auch damit nur ein Teil der Stromüberschüsse genutzt werden kann.

Denn an windreichen Tagen komme es zu Netzengpässen mit Stromüberschüssen von mehreren tausend Megawatt. Um diese Engpässe aufzulösen, hält er es für notwendig, das Übertragungsnetz massiv auszubauen.

 

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