Kommentar: Es gab eine Zeit, da waren Geschäftsberichte von Energieunternehmen kleine Schatzkästchen. Manche Energiejournalisten nahmen sich die Zeit und machten sich die Mühe, sie zu erschließen.
Hier konnten sie oft deutlich genauere Informationen über die Geschäftsentwicklung finden, als sie in Pressemitteilungen und Pressekonferenzen vermittelt wurden. Diese mitunter hochinformativen Broschüren wurden meist in der Zeit zwischen März und Juni vorgelegt, in seltenen Fällen sogar auch schon im Februar.
Geschäftsberichte dienen vor allem dazu, Gesellschafter und Aufsichtsräte eines Unternehmen über seine Entwicklung in dem zuletzt abgelaufenen Geschäftsjahr zu informieren. Auch Geschäftspartner können aus diesen Dokumenten herauslesen, in welcher Situation sich das Unternehmen befindet, mit dem sie als Lieferanten oder Kunden verbunden sind oder sich verbinden wollen. Einen ähnlichen Informationsbedarf haben oft auch staatliche Behörden, Gewerkschaften und unabhängige Organisationen, die gesellschaftliche Interessen wie Verbraucher- und Umweltschutz vertreten. In diesem Informationsprozess können Journalistinnen und Journalisten wichtige Vermittler:innen sein, die mit Fachkenntnis, Hintergrundwissen und sprachlichem Geschick schwierige Sachverhalte aufbereiten und verständlich darstellen.
In den vergangenen Jahren haben Geschäftsberichte allerdings zunehmend ihre Eigenschaft als Informations-Schatzkästchen eingebüßt. Es gibt Unternehmen, die gar keine eigenen Geschäftsberichte mehr veröffentlichen. Sie erfüllen nur noch die Pflicht, ihre Jahresabschlüsse im Bundesanzeiger zu veröffentlichen. Mitunter reichen sie diese Zahlenwerke dort erst kurz vor Ablauf der gesetzlichen Frist zum Ende des Jahres ein, das auf das Berichtsjahr folgt. Geschäftspartner, Journalistinnen und die weitere interessierte Öffentlichkeit müssen also mehr als ein Jahr darauf warten, bis sie erfahren können, was so ein geheimnisvolles Unternehmen über sein Geschäftsjahr noch preisgeben will.
Systematische Undurchsichtigkeit
Das ist dann auch nicht immer besonders viel. So war es früher selbstverständlich, die Gesellschafter eines Unternehmen mit ihren jeweiligen Anteilen in den Geschäfts- und Jahresberichten aufzuführen. In den regelmäßig spät veröffentlichten Jahresberichten der Bergbau- und Kraftwerksunternehmen Mibrag und Leag sind sie nun nur noch ungenau oder gar nicht mehr zu finden. Eigentlich wäre auch zu erwarten, dass wichtige Einflüsse auf den Unternehmenserfolg im Geschäfts- oder Jahresbericht beschrieben und näher beziffert werden. Doch in Mibrags Berichten tauchen die hohen Einnahmen aus der Sicherheitsbereitschaft für ausgediente Braunkohle-Kraftwerke überhaupt nicht auf. In Leags Berichten fehlen Informationen darüber, wie und wohin eine beträchtliche Ausgleichszahlung des früheren Eigentümers Vattenfall geflossen ist.
Diese systematische Undurchsichtigkeit ist höchst bedenklich. Schließlich geht es bei Mibrags Einnahmen aus der Sicherheitsbereitschaft um staatlich verursachte Zahlungen der Stromkunden. Bei Leag sind es Gelder für die Rekultivierung der Braunkohle-Tagebaue, die im schlimmsten Fall von den Steuerzahlern ersetzt werden müssten. Die Undurchsichtigkeit zeigt sich allerdings auch in den international weitverzweigten Gesellschafterstrukturen dieser beiden Unternehmen. Sie hat daher auch eine gewisse durchgehende, wenn auch sehr bedenkliche Konsequenz.
Niemand will anderen Energieunternehmen, die weniger verzweigte Gesellschafterstrukturen haben, diese systematische Undurchsichtigkeit auch nur entfernt zuschreiben. Dennoch gibt es auch bei traditionsreichen großen, mittleren und kleineren Energieversorgern eine deutlich bemerkbare Tendenz zu abnehmend informativen Geschäftsberichten.
Diese Tendenz hat sogar die Stadtwerke Leipzig erfasst, die sich vollständig im kommunalen Eigentum befinden und daher einer angemessenen Berichterstattung verpflichtet sein sollten. Es ist schon lange her, dass sie ihre Geschäftsberichte auf eigenen Pressekonferenzen vorstellten und ausführlich Journalistenfragen beantworteten. Seit einigen Jahren gibt es nur noch eine gemeinsame Pressekonferenz mit drei weiteren Stadtfirmen, bei der die Zeit für Fragen und Antworten eher knapp ist. Dazu kommt, dass es für Journalisten auch noch zunehmend mühsam bis unmöglich wurde, bis zu dieser Pressekonferenz an den Geschäftsbericht zu kommen, um Fragen dazu stellen zu können.
Kein wirklicher Einblick
Zuletzt strich die Stadtholding LVV sogar diese Pressekonferenz. Stattdessen verschickte sie nur noch eine knappe Pressemitteilung für alle vier Versorgungs- und Verkehrsgesellschaften, die zunächst auch nicht alle interessierten Journalisten erreichte. Der Jahresbericht der Stadtwerke war dann zwar online abrufbar. Einen wirklichen Einblick in die Entwicklung des Unternehmens vermittelt er aber nicht. In seinem Lagebericht steht nicht, dass und warum die Netztochter ihren Gewinn vervielfachen konnte. Es lässt sich auch nur vermuten, dass die Stadtwerke wohl erheblich von einer günstigen Preisentwicklung im Großhandel mit Strom und Gas profitiert haben konnten – die sie nicht an ihre Kunden weitergegeben haben. Rätselhaft bleiben auch die zusätzlichen Einnahmen, die aus den zuletzt erhöhten Strompreisen für Kleinverbraucher in die Stadtwerke-Kassen geflossen sind. Und einiges mehr.
Die Stadtwerke Leipzig gehören vollständig den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt. Daraus erwächst auch eine besondere Verpflichtung, die eigene Geschäftsentwicklung ausführlich, verständlich und gut nachvollziehbar zu erklären. Diese Verpflichtung haben die Geschäftsführungen von LVV und Stadtwerken in den vergangenen Jahren immer weniger erfüllt. Das ist eine sehr bedenkliche Entwicklung.