Industrieunternehmen können grünen Wasserstoff einsetzen, um Hochtemperatur-Prozesse zu dekarbonisieren. Dafür sind große Mengen des Energieträgers nötig. Um Erfurt entsteht zunächst ein Inselnetz, bei Magdeburg ein Elektrolyseur im Industriegebiet.
In Thüringen soll in den nächsten Jahren ein Inselnetz für grünen Wasserstoff aufgebaut werden. An einem entsprechenden Projekt „TH2ECO“ arbeiten mehrere regionale Energieversorger und Netzbetreiber. Wesentliche Grundlagen dafür sind bestehende Anlagen, die bisher für die Versorgung mit Erdgas genutzt werden. Dazu gehört ein Untergrundspeicher in Kirchheiligen und eine 40 Kilometer lange Gasleitung, die von diesem Speicher nach Erfurt führt. Sie sollen so umgerüstet werden, dass sie künftig Wasserstoff speichern und transportieren können. In Erfurt gibt es ein größeres Gaskraftwerk und ein Güterverkehrszentrum, die künftig mit dem Kohlenstoff-freien Energieträger versorgt werden könnten. Weitere mögliche Großkunden sind regionale Industrieunternehmen. Den grünen Wasserstoff selbst will das Projektkonsortium mit Elektrolyseuren herstellen, die erneuerbaren Strom aus nahen Solar- und Windparks beziehen. Diese Pläne stellte Projektleiter Philipp Geuß gestern beim Wasserstoff-Kongress in Erfurt vor. Bei dem Inselnetz soll es allerdings nicht bleiben. In einigen Jahren wollen die Projektpartner ihre Insel an das bundesweite Wasserstoff-Kernnetz anschließen, das die Ferngas-Leitungsbetreiber geplant haben. Dann könnten auch größere Mengen Wasserstoff aus anderen Regionen nach Thüringen importiert werden. Derzeit werden die Ferngas-Pläne für das Kernnetz noch von der Bundesnetzagentur geprüft. Grüner Wasserstoff wird aus erneuerbaren Energien und Wasser hergestellt und gilt als klimafreundlicher gasförmiger Energieträger. Bisher kann er nur mit kleinen Anlagen und in geringen Mengen produziert werden. Die Preise sind noch hoch und der Transport ist schwierig. Der grüne Wasserstoff kann fossiles Erdgas in verschiedenen Bereichen ersetzen. Dazu zählen Hochtemperatur-Prozesse in der Industrie, die nicht ohne weiteres von Erdgas auf grünen Strom umgestellt werden können. Damit die Umstellung möglich werden kann, sind allerdings große Mengen Wasserstoff nötig, die nur über Leitungen geliefert werden können. Ein Beispiel dafür ist die Glasherstellung, bei der Temperaturen von 1.700 Grad Celsius notwendig sind. Darüber berichtete Matthias Kaffenberger, Projektleiter beim Glasproduzenten Schott. Erste Versuche, Wasserstoff mit einer kleinen Versuchsanlage für die Glasschmelze einzusetzen, verliefen erfolgreich. Danach ist es im Mainzer Stammwerk auch gelungen, eine Schmelzwanne in der Produktion über vier Wochen mit einer Mischung aus Erdgas und Wasserstoff zu betreiben. Diese Versuche müssten nun eigentlich ausgeweitet werden. Doch dafür reichen die Wasserstoff-Mengen nicht aus, die sich das Werk in Sattelaufliegern per LKW liefern lassen kann. Notwendig wäre die Anbindung an ein Wasserstoff-Netz, die allerdings erst langfristig möglich ist. Als Alternative wäre denkbar, im Stammwerk einen eigenen Elektrolyseur für die Wasserstoff-Produktion zu bauen. Im Thüringer Jena, wo Schott auch ein Glaswerk betreibt, sind die Aussichten etwas besser: Dieses Werk könnte in einigen Jahren an ein Wasserstoffnetz angeschlossen werden. Denn Jena liegt direkt an einer Leitung, die künftig zum Wasserstoff-Kernnetz gehören soll. Hier gibt es also gute Entwicklungsmöglichkeiten. Konkrete Fortschritte für die Produktion von grünem Wasserstoff zeichnen sich derzeit im nördlichen Sachsen-Anhalt ab. Im Industriepark Osterweddingen bei Magdeburg baut das Brandenburger Unternehmen Enertrag seit Mai 2024 an einem Elektrolyseur. Er soll über eine Leistung von 10 Megawatt verfügen und jährlich 800 Tonnen grünen Wasserstoff für lokale Industrie- und Transportunternehmen produzieren. Den Strom dafür will das Unternehmen über eine Direktleitung aus einem eigenen Windpark beziehen. Später könnte der Elektrolyse-Standort in Osterweddingen weiter ausgebaut werden. Außerdem plant Enertrag bereits größere Elektrolyse-Anlagen in Falkenhagen und Rostock. Beim Erfurter Kongress wies Enertrag-Vorstand Tobias Bischof-Niemz darauf hin, dass es derzeit im deutschen Strommarkt keinen Anreiz dafür gibt, Elektrolyseure nahe an der Erzeugung von erneuerbarem Überschuss-Strom zu bauen. Der Vorstand berichtete, dass in den Windparks des Unternehmens in der Uckermark große Strommengen abgeregelt werden, weil sie nicht in die vorhandenen Netze eingespeist werden können. Im vergangenen Jahr 2023 seien deshalb 200 Gigawattstunden Strom abgeregelt worden. Bischof-Niemz setzt nun einige Hoffnungen in eine neue Regelung des Energiewirtschafts-Gesetzes. Sie soll es nach dem Prinzip „Nutzen statt Abregeln“ ermöglichen, Überschuss-Strom vor Ort zu nutzen und damit die überregionalen Übertragungsnetze zu entlasten. Wer mit seinen Anlagen zur Entlastung beiträgt, erhält dann eine Vergütung von den Übertragungsnetz-Betreibern. Diese Regelung soll ab Oktober 2024 zunächst zwei Jahre lang erprobt werden. Eine leicht verwandte Regelung gibt es bereits seit einigen Jahren im Energiewirtschafts-Gesetz. Sie gilt allerdings nur für Betreiber von Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung, die in Zeiten von Netzengpässen darauf verzichten, Strom ins Netz zu speisen. Im Gegenzug unterstützt ihr Übertragungsnetz-Betreiber sie dabei, Wärme aus Überschuss-Strom zu produzieren.
Große Mengen für den Dauerbetrieb
Überschuss-Strom für die Elektrolyse
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