Die Europäische Union hatte sich bei der Gas-Versorgungssicherheit lange darauf konzentriert, dass der Energieträger verfügbar sein sollte. Nach der Gaskrise des Jahres 2022 empfiehlt ihr nun der eigene Rechnungshof, mehr auf die Bezahlbarkeit zu achten.
Die Europäische Union ist noch nicht umfassend auf eine neue Gaskrise vorbereitet. Zu dieser Einschätzung gelangt der Europäische Rechnungshof in einem Bericht. „Die Gasversorgung ist noch nicht ganz wasserdicht“, sagte Rechnungshof-Mitglied João Leão gestern bei einer Online-Pressekonferenz. Die Gaskrise des Jahres 2022 habe gezeigt, wie entscheidend es sei, die Versorgungssicherheit langfristig vorzubereiten und kurzfristig wirksam auf Schockereignisse zu reagieren. Leão zufolge hatte die EU seit dem Jahr 2017 eine Struktur für die Erdgas-Versorgungssicherheit aufgebaut. Auf die Gaskrise reagierte die Union dann auch mit Sofortmaßnahmen. Beide Gesichtspunkte hat der Rechnungshof in seinem Bericht untersucht. Langfristig hatte die EU in den vergangenen Jahren eine Infrastruktur gebaut und finanziert, die Gasnetze der Mitgliedstaaten miteinander verbindet. Damit wurden zunehmend Gasströme von West nach Ost möglich, während sie zuvor überwiegend von Ost nach West verliefen. Einzelne Länder konnten sich neue Lieferquellen erschließen und wurden weniger abhängig von Lieferungen aus Russland. Dass die Mitgliedstaaten gemeinsam an der Versorgungssicherheit gearbeitet hatten, half nach Leãos Einschätzung auch dabei, die Krisenzeit zu überstehen. Es habe aber auch verpasste Möglichkeiten und sogar fehlende Solidarität gegeben. Außerdem sei die Gaskrise mehr von der Bezahlbarkeit des Energieträgers als von seiner Verfügbarkeit geprägt gewesen. Die Untersuchung habe aber gezeigt, dass die EU das Thema der Bezahlbarkeit weniger beachtet hatte. Leão zufolge wusste die EU-Kommission schon seit dem Jahr 2014, dass ein russischer Gas-Lieferstopp einen gewaltigen Einfluss auf die Preise haben würde. Dennoch versäumte sie es, die Auswirkungen auf Kunden und die Industrie abzuschätzen. Russisches Erdgas hatte im Jahr 2021 noch 45 Prozent zum Gasimport in die EU beigetragen. Als diese Importe im Jahr 2022 verringert und schließlich ganz eingestellt wurden, führte dies zu einer Versorgungskrise, die ihrerseits eine Bezahlbarkeitskrise auslöste. Im August 2022 erreichten die Großhandelspreise für Gas einen Höchststand von 339 Euro pro Megawattstunde, nachdem sie im August 2021 noch bei 51 Euro gelegen hatten. Darauf reagierte die Europäische Union mit einer Reihe von Sofortmaßnahmen. So wurden die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, den Gasverbrauch um 15 Prozent zu senken und die Gasspeicher bis November auf 90 Prozent zu füllen. Der Rechnungshof konnte nun allerdings nicht erkennen, ob diese Ziele durch die Vorgaben der EU oder durch andere Einflüsse wie hohe Gaspreise und einen warmen Winter erreicht worden sind. In der Krise begannen die Mitgliedsländer damit, die Gas- und Strompreise zu subventionieren, um die Auswirkungen auf Haushalte und Unternehmen abzufedern. So wurden in Deutschland zeitweise die Preisbremsen für Gas, Strom und Fernwärme eingeführt. Um die weggefallenen Lieferungen von russischem Pipelinegas zu ersetzen, importierten die Länder der EU mehr Pipelinegas von anderen Lieferanten und mehr weltweit verfügbares Flüssigerdgas (Englisch: Liquefied Natural Gas – LNG). Bis zum Jahresende 2023 hatte die EU sich dem Bericht zufolge weitgehend von russischem Pipelinegas gelöst, die Preise stabilisierten sich. Leão wies darauf hin, dass die Gaspreise nun stark auf einzelne Ereignisse reagieren können. Das sei erst kürzlich zu sehen gewesen, als australische LNG-Arbeiter streikten oder als ein norwegisches Gasaufbereitungswerk abgeschaltet wurde. Dass die Gasversorgung der EU nun stärker von LNG abhängt, sieht der Rechnungshof deshalb als eine langfristige Herausforderung für die Versorgungssicherheit. In seinem Bericht geht der Rechnungshof ausführlich darauf ein, dass die Europäische Union nun in ihren Konzepten zur Gassicherheit auch der Bezahlbarkeit mehr Gewicht beimisst. Dafür entwickelt sie inzwischen einen politischen Rahmen. So hat die EU-Kommission eine Definition von Energiearmut in die EU-Richtlinie zur Energieeffizienz aufgenommen. Bei der Reform des europäischen Strommarktes soll ein Schwellenwert dafür festgelegt werden, ab dem Mitgliedsstaaten die Energierechnungen von Haushalten und Unternehmen subventionieren können. Und für den Großhandels-Gaspreis an der wichtigen niederländischen Gasbörse Title Transfer Facility wurde eine Obergrenze eingezogen. Der Rechnungshof empfiehlt der EU-Kommission nun unter anderem, diesen Rahmen der Gas-Bezahlbarkeit weiter zu vervollständigen. Berichterstatter Nicolas Edwards wies darauf hin, dass hier viele Fragen noch ungeklärt sind. Die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten müssten erst noch verstehen, wie Bezahlbarkeit entsteht, wo sie beginnt und endet, und auch wie sie verschiedene Bevölkerungsgruppen und Unternehmen betrifft. Bei der Bezahlbarkeit von Gas sei noch viel Analysearbeit zu leisten, die bei der Verfügbarkeit schon vollbracht worden sei.Bezahlbarkeit wurde weniger beachtet
Gaspreise reagieren nun stark auf einzelne Ereignisse
Analyse der Bezahlbarkeit
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