Erdwärme ist klimaneutral, zuverlässig verfügbar und lässt sich mit unterschiedlichen Methoden gewinnen. Ihre Nutzung ist noch sehr ausbaufähig. Mecklenburg und München gehen dabei voran.
Erdwärme könnte künftig noch sehr viel mehr als bisher zur Wärmeversorgung von deutschen Städten und Industrieunternehmen beitragen. Das geht aus einer Studie der Acatech – Deutschen Akademie der Technikwissenschaften hervor. Demnach werden bisher nur zehn Terawattstunden Wärme pro Jahr mit geothermischen Anlagen bereitgestellt. Zum Vergleich: Der gesamte deutsche Wärmeverbrauch liegt bei 1.400 TWh und wird weitaus überwiegend aus fossilen Energiequellen wie Kohle und Erdgas gedeckt. Dabei bietet die Geothermie einige Vorteile, wenn es um klimaneutrale und zuverlässige Wärmeversorgung geht: Sie hat wenig Auswirkungen auf die Umwelt, ist unabhängig von Jahreszeit und Wetter und steht ständig zur Verfügung. Darauf wies Studienleiter Rolf Emmermann bei einem Online-Gespräch von Acatech hin. Diese erneuerbare Wärme im Untergrund könnte weitaus umfangreicher als bisher genutzt werden. Acatech hat verschiedene andere Studien ausgewertet, die sich schon mit den Möglichkeiten für einen Ausbau beschäftigt haben. Demnach soll es möglich sein, die geothermische Wärmebereitstellung in Deutschland bis zum Jahr 2045 auf 136 bis 286 Terawattstunden pro Jahr auszubauen. Der größte Anteil entfällt dabei auf die oberflächennahe Geothermie, die derzeit auch schon am weitesten entwickelt ist. Sie wird in Tiefen von bis zu 400 Metern eingesetzt. Erdwärmesonden und -kollektoren gewinnen hier zunächst Wärme mit meist noch niedrigen Temperaturen von bis zu 20 Grad Celsius. Elektrische Wärmepumpen heben dann diese Temperatur auf die notwendige Vorlauftemperatur der Heizung an. Auf diese Weise werden Einzelgebäude, Gebäudekomplexe oder Infrastruktureinrichtungen mit Erdwärme geheizt. Mit etwas speziellerer Technik können sie auch geothermisch gekühlt werden. Im Jahr 2021 waren in Deutschland 440.000 oberflächennahe Geothermieanlagen in Betrieb. Sie verfügten über eine installierte Wärmeleistung von 4.400 Megawatt und produzierten jährlich 8,4 TWh Wärme. Eine anspruchsvollere Technik ist die mitteltiefe Geothermie, die in Tiefen von bis zu 1,2 Kilometern arbeitet. Hier wird Wärme in einem Temperaturbereich von 20 bis 60 Grad Celsius gewonnen, um Gebäudekomplexe, Quartiere und Gewächshäuser zu beheizen. Die gewonnene Wärme lässt sich auch mit Großwärmepumpen auf ein höheres Temperaturniveau heben, damit sie in Fernwärme-Netze eingespeist werden kann. Auch Konzepte für saisonale Wärmespeicherung und Kühlung sind umsetzbar. Die mitteltiefen Erdwärme-Sonden können Acatech zufolge ebenfalls nahezu überall installiert werden. Besonders günstige Bedingungen sieht die Akademie in stillgelegten Bergwerken, in denen Grundwasser aus größeren Tiefen aufsteigt. Dennoch wird diese Geothermie-Technik bisher nur wenig angewendet. Deutlich häufiger angewendet wird die tiefe Geothermie. Sie arbeitet mit Tiefen ab 1,2 Kilometer und erschließt Erdwärme mit Temperaturen von über 60 Grad Celsius. Sie kann oft direkt in Nah- und Fernwärmenetze eingespeist oder von Industrie und Landwirtschaft direkt genutzt werden. Wenn die Erdwärme mit mehr als 100 Grad Celsius verfügbar ist, kann sie auch zur Stromerzeugung in Dampfturbinen dienen. Die Nutzung tiefer hydrothermaler Systeme hatte bereits zu DDR-Zeiten 1986 in Mecklenburg mit der geothermischen Heizzentrale in Waren an der Müritz begonnen. Bohrtrupps hatten hier nach Erdöl gesucht und dabei warmes Tiefenwasser gefunden. Dieses Warmwasser konnte nun für die Wärmeversorgung genutzt werden. Es folgten Anlagen in Neustadt-Glewe, Neubrandenburg und Prenzlau. Zuletzt ging im Jahr 2023 ein geothermisches Heizkraftwerk in Schwerin-Lankow in Betrieb. Inzwischen hat sich die tiefe Geothermie auch im Großraum München gut entwickelt. So konnten die Stadtwerke München im Jahr 2021 bereits ihre sechste tiefe Geothermie-Anlage in Betrieb nehmen. In den nächsten Jahren wollen sie diesen Anlagenpark weiter ausbauen und gleichzeitig ihr Fernwärmenetz erweitern, um die zusätzlich gewonnene Erdwärme einbinden zu können. Das Ziel der Stadtwerke München ist, eine Kohlendioxid-neutrale Wärmeversorgung zu erreichen. Wie der zuständige Experte Christian Pletl beim Acatech-Gespräch sagte, ist die Geothermie dafür unter den Münchner Bedingungen die günstigste Alternative. Zwar fallen dafür zunächst hohe Investitionskosten an – vor allem für die Bohrungen. Sie können durch Fördermittel abgemildert werden. Auf lange Sicht sind dafür die Betriebskosten relativ gering. Dieses Kostenverhältnis kann auch dazu beitragen, die Fernwärmepreise zu stabilisieren. Darauf wies Thomas Hamacher von der Geothermie-Allianz Bayern hin. Nach der Investition in eine Geothermie-Anlage seien die Hauptgelder bereits ausgegeben. Das bedeutet nach seiner Ansicht, dass die Wärmepreise dann für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre abgesichert sind. Im Jahr 2020 gab es in Deutschland insgesamt 42 Anlagen der tiefen Geothermie, die über eine installierte thermische Leistung von 359 Megawatt und eine elektrischen Leistung von 45 Megawatt verfügten. Sie lieferten 1.400 Gigawattstunden Wärmeenergie pro Jahr. Auch in diesem Bereich sieht Acatech erhebliches Ausbaupotenzial. Die Voraussetzungen dafür haben sich nach Ansicht der Akademie verbessert. Demnach sind für den kostenintensiven Bohrprozess neue, wirtschaftlichere Verfahren entwickelt worden. Die verwendeten Werkstoffe sind haltbarer als früher und länger verwendbar. Auch die Wärmepumpen wurden leistungsfähiger und erlauben es, Wärmequellen verschiedener Temperaturniveaus gut in Wärmenetze zu integrieren. Die tiefe Geothermie hängt allerdings auch von speziellen geologischen Bedingungen ab. Die größten Potenziale dafür liegen im Süddeutschen Molassebecken mit dem Großraum München, im Oberrheingraben zwischen Basel und Mannheim sowie im Norddeutschen Becken mit Berlin, Schwerin, Hannover und Hamburg. Gute Möglichkeiten werden auch der Rhein-Ruhr-Region zugeschrieben. Gleichzeitig gibt es in diesen Regionen auch große Ballungszentren mit Industrieunternehmen, in denen die verfügbare Erdwärme gut genutzt werden kann. Sie haben einen großen Bedarf an Wärme und häufig auch schon Wärmeverteilnetze. Die geothermische Energie lässt sich hier also gut aus der Tiefe gewinnen, transportieren und anwenden. Geothermische Anlagen liefern nicht nur Niedertemperatur-Wärme für Warmwasser und Heizung. Acatech weist darauf hin, dass sie auch Prozesswärme für industrielle Anwendungen bereitstellen können. Dazu zählen Produktionsprozesse von Möbeln, Leder und Gummi sowie Prozesse in der Lebensmittelindustrie. Hier kann die Erdwärme direkt genutzt werden, wenn sie mit ausreichender Temperatur verfügbar ist. Wenn die Temperatur der Erdwärme nicht ausreicht, ist es möglich, sie mit elektrischen Wärmepumpen auf ein höheres Niveau zu bringen. Und schließlich kann die Wärme aus der Tiefe auch gemeinsam mit Biobrennstoffen dazu genutzt werden, um besonders energiereichen Prozessdampf zu erzeugen. Diese Möglichkeiten der Tiefengeothermie sind besonders für die Städte in Nordrhein-Westfalen interessant, deren Fernwärme-Netze bisher noch von Braun- und Steinkohle-Kraftwerken gespeist werden. Das Land Nordrhein-Westfalen plant deshalb, die tiefe Geothermie mit einem Masterplan systematisch auszubauen.Je tiefer, desto wärmer
Anfang in Waren an der Müritz
Fernwärmepreise stabilisieren
Geologie unter Ballungszentren
Prozesswärme für die Industrie
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