Die Forschung zu erneuerbaren Energien war bisher vor allem auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Die Energiekrise der vergangenen Monate hat nun auch den Blick auf die Widerstandskraft des künftigen Energiesystems geschärft.

 

Windparks bei Oschatz. Archivfoto 2021: Stefan Schroeter

Vor zwei Jahren hatte Deutschland 71 Prozent seines Primärenergie-Bedarfs importiert. Dabei handelte es sich zum größten Teil um die fossilen Energieträger Erdöl, Erdgas und Steinkohle. All dies kam vorwiegend aus Russland. Daran erinnerte die Energieforscherin Nicole Neumann am 10. Oktober 2023 auf der Jahrestagung des Forschungsverbundes Erneuerbare Energien in Berlin.

Diese hohe Abhängigkeit von Russlands Energielieferungen erwies sich als ernsthaftes Problem, als Russland im Februar 2022 seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine begann. Innerhalb weniger Monate ging der Erdgasimport aus Russland auf Null zurück.

Er musste durch Importe aus anderen Ländern, über neu gebaute Flüssigerdgas-Terminals und durch drastische Einsparmaßnahmen ersetzt werden. Dazu kamen größere Importe von Erdöl und Steinkohle. Auch die Braunkohle-Förderung im Inland nahm zu. Die Energiepreise stiegen in Höhen, die bis dahin unbekannt waren.

Angesichts dieser Entwicklungen stellte Neumann zwei wissenschaftliche Fragen: War das deutsche Energiesystem zum Jahresanfang 2022 resilient? Und ist es das heute? Die Antworten ließ sie noch weitgehend offen.

„Forschung für ein resilientes Energiesystem in Zeiten globaler Krisen“ war das Thema der Jahrestagung. „Resilienz“ steht dabei nicht nur für Widerstandskraft und Robustheit, sondern auch für die Anpassungs- und Entwicklungsfähigkeit von Systemen. Diese Eigenschaften sind besonders gefragt in Zeiten großer Veränderungen.

In der Energiewirtschaft sind solche großen Veränderungen nicht nur kurzfristig notwendig, um den Ausfall bedeutender Energieimporte zu ersetzen und schockartige Preisanstiege zu bewältigen. Auch der langfristige Umstieg auf erneuerbare Energien ist mit großen technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen verbunden.

 

Dimensionen der „Zukunftskunst“

Wie die Energieforscherin Karin Arnold sagte, war die Forschung zu erneuerbaren Energien bisher vor allem auf das Zielbild „Nachhaltigkeit“ ausgerichtet. Mit der „Resilienz“ komme jetzt ein neues Merkmal hinzu: „Wir wünschen uns ein nachhaltiges, resilientes Energiesystem.“

Dabei reiche die technische Betrachtung nicht aus. Vielmehr müssten Geschäftsmodelle, Märkte und Handelsbeziehungen, Politik und Gesellschaft einbezogen werden, damit das Energiesystem zielgerichtet transformiert werden kann. Dieses Denken in mehreren Dimensionen bezeichnete Arnold als „Zukunftskunst“.

Etwas mehr von dieser Zukunftskunst sollte wohl noch in die bisher verfügbaren langfristigen Klimaschutz-Szenarien einfließen. Der Energiesystem-Analyst Hans Christian Gils sah hier jedenfalls das Thema „Resilienz“ noch unzureichend berücksichtigt. Dabei stellte er gleichzeitig mehrere Forschungsprojekte unterschiedlicher Institute vor, die diese Lücke schließen könnten.

 

Stressfälle und Konflikte

In diesen Projekten entwickeln die Wissenschaftler neue Modelle für ein künftiges Energiesystem, das durch einen hohen Anteil erneuerbarer Energien geprägt ist. Dazu gehören Szenarien, die zeigen, wie sich Stressfälle auf ein solches Energiesystem auswirken.

Als möglichen Stressfall nannte Gils eine extreme Winterwetterlage mit Kälte und Sturm in Norddeutschland. Dann kann sich nicht nur die Energienachfrage in dieser Region verändern, sondern auch die Verfügbarkeit von Windstrom. Manche Energieanlagen funktionieren unter derartigen Bedingungen nur eingeschränkt, und auch die Infrastruktur kann versagen.

Solche Extremfälle und ihre möglichen Auswirkungen gehen in die Modelle ein. Sie dienen dazu, Energiesysteme zu entwickeln, die Stress- und Schockereignisse bewältigen und danach wieder in einen stabilen Zustand zurückkehren können.

Wie resilient die künftigen Energiesysteme gestaltet werden können, hängt allerdings auch davon ab, welche gesellschaftlichen Konflikte die Energiewende mit sich bringt. Die Forscher analysieren diese Interessengegensätze und lassen sie in ihre Modelle einfließen. Ihr Ziel ist, die Politik dabei zu unterstützen, diese Konflikte zu lösen.

 

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