Der Geschäftsbericht für den Lippendorfer Kraftwerksblock S ermöglicht begrenzte Einblicke in die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des fossilen Stromerzeugers. Danach ist anzunehmen, dass der Eigentümer EnBW den Strom, der hier im Jahr 2014 erzeugt wurde, noch mit Gewinn verkaufen konnte.

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Das Kraftwerk Lippendorf verstromt Braunkohle aus dem Tagebau Vereinigtes Schleenhain. Archiv-Bewegtbild 2014: Stefan Schroeter


Das Braunkohle-Großkraftwerk Lippendorf hat seine Netto-Stromerzeugung im zurückliegenden Geschäftsjahr 2014 leicht auf 12,6 Terawattstunden Strom ausgebaut. Der Nettowirkungsgrad des Kraftwerks lag wie schon im Vorjahr bei 41,7 %, während die Arbeitsverfügbarkeit leicht auf 90,3 Prozent verbessert werden konnte. Diese Zahlen sind dem aktuellen Geschäftsbericht der EnBW Kraftwerk Lippendorf Beteiligungsgesellschaft mbH (EnKL) zu entnehmen.

EnKL ist eine in Stuttgart ansässige Tochtergesellschaft des ebenfalls dort beheimateten Energiekonzerns EnBW. Ihr gehört der Block S des Braunkohle-Kraftwerks Lippendorf, dessen anderer Block R sich im Eigentum des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall befindet. Vattenfall ist auch für die Betriebsführung der Zwillingsblöcke mit knapp 400 Mitarbeitern zuständig, legt aber anders als EnBW keinen speziellen Geschäftsbericht für seinen Block vor.

Dem EnKL-Geschäftsbericht zufolge produzierte der Block S im Geschäftsjahr 2014 allein 6,4 TWh und setzte dazu 5,3 Mio. Tonnen Braunkohle ein. Der Preis für die Braunkohle, die das Förderunternehmen Mibrag aus dem nahen Tagebau Vereinigtes Schleenhain anliefert, war mit 17,62 Euro/t etwas günstiger als im Vorjahr. Außerdem wurden im Block S 144.000 t Klärschlamm mitverbrannt.

Die Stromproduktion des Blocks S wurde offenbar erheblich durch hohe Windstrom-Einspeisungen in das ostdeutsche Übertragungsnetz beeinflusst. Sie führten insbesondere in den Monaten Mai, Juni und Dezember zu sogenannten Redispatch-Maßnahmen des Netzbetreibers 50Hertz, bei denen der Block abgeschaltet oder mit geringerer Leistung gefahren wurde.

 

Kostenbasierte Stromvergütung

Den erzeugten Strom liefert EnKL komplett an EnBW und erhält dafür eine kostenbasierte Vergütung, die im zurückliegenden Geschäftsjahr 2014 leicht auf 235,4 Mio. Euro gesunken ist. Hinzu kamen andere Umsatzerlöse von 3,2 Mio. Euro, überwiegend für die  Klärschlamm-Entsorgung, so dass sich ein Gesamtumsatz von 238,6 Euro ergab.

Beim Blick auf Gewinne und gezahlte Steuern ergibt sich ein interessantes Bild: Das Vorsteuer-Ergebnis wies mit 28.680,62 Euro exakt die gleiche Summe auf wie die Grundsteuer, die EnKL an die Standortgemeinde Neukieritzsch zahlte. Die logische Folge davon ist ein Jahresüberschuss von 0,00 Euro. Das gleiche Bild ergibt sich bei den EnKL-Geschäftsberichten für 2011 bis 2013, auch wenn der Betrag für Vorsteuer-Ergebnis und Grundsteuer in diesen Jahren etwas niedriger ist. Für die Jahre 2000, als das Kraftwerk in Betrieb ging, bis 2010 hatte die EnBW-Tochter keine Jahresabschlüsse veröffentlicht.

Sollte die Braunkohleverstromung im Block S tatsächlich so wenig wirtschaftlich sein, dass der Eigentümer damit seit Jahren nur die Grundsteuer für die Standortgemeinde verdienen kann? Um das zu überprüfen, lohnt sich ein Blick auf die Abschreibungen und auf das Finanzergebnis. Die Abschreibungen, mit denen EnBW seine früheren Investitionen in den Kraftwerksblock erwirtschaftet, weist EnKL mit 47,4 Mio. Euro aus. Schon das dürfte ein wichtiger Grund für EnBW sein, den Block weiter zu betreiben.

 

Millionen-Zinsen für die Muttergesellschaft

Als noch interessanter erweist sich das Finanzergebnis von minus 44,4 Mio. Euro. Es ist das Resultat zweier Darlehen über mehrere hundert Millionen Euro, die EnKL und und EnBW sich gegenseitig gewährt haben. Während EnKL dabei marktübliche Zinsen an EnBW zahlt, erhält sie selbst fast keine Zinsen. Auf diese Weise führt die Tochter 44,4 Mio. Euro als Zinssaldo an die Muttergesellschaft ab und vermeidet so, dass der Vorsteuergewinn die Grundsteuer übersteigt. Dabei ergibt die Summe aus Finanzergebnis und Grundsteuer genau das „Ergebnis aus betrieblicher Tätigkeit“ von 44.391.619,23 Euro. Diese Rechnung ging – mit anderen Zahlen – auch schon in den Vorjahren auf.

Rechnet EnBW also den Gewinn seiner Tochter EnKL seit Jahren künstlich herunter, möglicherweise um Gewerbesteuer-Zahlungen zu vermeiden? So einfach ist es nicht, ergibt eine Anfrage bei dem Energiekonzern: „Die Gesellschaft EnBW Kraftwerk Lippendorf Beteiligungsgesellschaft mbH (EnKL) war von Beginn an in den steuerlichen Organkreis der EnBW AG eingebunden“, antwortet die zuständige Fachabteilung. „Das bedeutet, dass die Gesellschaft selbst nicht gewerbesteuerpflichtig ist. Vielmehr ist EnKL steuerlich eine unselbständige Betriebsstätte der EnBW AG. Das operative Ergebnis und damit auch der steuerpflichtige Gewerbeertrag werden dem Organträger, der EnBW AG, hinzugerechnet. Dennoch erhalten die Standortgemeinden ein Gewerbesteueraufkommen. Denn die Gemeinden partizipieren durch die steuerliche Organschaft anteilig vom gesamten Gewerbesteueraufkommen der EnBW AG.“


Gewerbesteuer aus Stuttgart

Weiter schreiben die Stuttgarter Bilanzexperten: „Es ist richtig, dass der handelsrechtliche Jahresüberschuss bei der Tochtergesellschaft stets Null aufweist. Das bedeutet aber nicht, dass das Kraftwerk Lippendorf keine operativen Erträge erzielt. Vielmehr fließen die operativen Erträge über einen Strombezugsvertrag der EnBW AG direkt zu. Das dient der gesamthaften Steuerung und dem gesamthaften Handel und ist nicht steuerlich intendiert. Denn es ist steuerlich unerheblich, wo die operativen Erträge in einer Organschaft erzielt werden. Über die Zerlegung profitieren die Standortgemeinden in gleichem Maße von den steuerpflichtigen Erträgen, gleich wo sie entstehen. Im Ergebnis erhielt die Standortgemeinde Neukieritzsch für nahezu sämtliche Jahre zwischen 2000 und 2014 eine erhebliche Gewerbesteuerzahlung.“

Der Zerlegungsmaßstab für die Gewerbesteuer, heißt es weiter, bemesse sich nach den Arbeitslöhnen und dem Sachanlage-Vermögen der Kraftwerks-Standorte. Aus diesem Grund sei es steuerlich auch unerheblich, wo sich der Sitz der Geschäftsleitung befinde. „Die Entscheidung für den Ort der Geschäftsleitung in Stuttgart hat organisatorische Gründe und tangiert das anteilige Gewerbesteueraufkommen nicht“, argumentiert der Konzern.

Nähere Angaben dazu, wie hoch die Gewerbesteuerzahlungen für Neukieritzsch ausgefallen sind, lehnt EnBW mit Verweis auf das Steuergeheimnis ab. Auch in Neukieritzsch selbst will sich die zuständige Amtsleiterin dazu nicht äußern. Weitgehend ungeklärt bleibt ebenfalls, in welcher Weise die operativen EnKL-Erträge über einen Strombezugsvertrag der EnBW AG direkt zufließen. Immerhin geht aus den Erläuterungen hervor, dass die Muttergesellschaft das Vermarktungsrisiko für den in Block S erzeugten Strom komplett trägt und für sämtliche Kosten aufkommt, die der Betrieb des Kraftwerksblocks verursacht.


Stromproduktion noch unter Börsenpreis

Wie wirtschaftlich die Verstromung von Braunkohle bei sinkenden Strom-Großhandelspreisen im Jahr 2014 noch war, bleibt dagegen zunächst noch ein Rätsel. Es lässt sich aber zumindest näherungsweise mit den Zahlen des EnKL-Geschäftsberichts lösen: Denn EnBW hat seiner Tochter 235,4 Mio. Euro für die Kosten gezahlt, die bei der Produktion von 6,4 TWh Strom entstanden sind. Das Finanzergebnis von minus 44,4 Mio. Euro eingerechnet, ergeben sich Produktionskosten von 29,9 Euro je Megawattstunde Braunkohlestrom. Sie lagen damit etwas unter den durchschnittlichen deutschen Strom-Börsenpreisen von 2014, die sich in einer Bandbreite von 32,76 bis 35,09 Euro/MWh bewegt hatten. Es ist also anzunehmen, dass EnBW den in jenem Jahr erzeugten Lippendorfer Strom noch mit Gewinn verkaufen konnte.

Anders als für Block S liegen für den Lippendorfer Block R keine eigenständigen Geschäftsberichte vor. Er befindet sich im Eigentum der in Cottbus ansässigen VEG Vattenfall Europe Generation AG, die außerdem Braunkohle-Großkraftwerke in der Lausitz, ein Steinkohle-Kraftwerk in Hamburg sowie Pumpspeicher-Kraftwerke in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt besitzt und betreibt. VEG wiederum gibt ihre Gewinne und Verluste an die in Berlin beheimatete Vattenfall GmbH weiter.

Wie Vattenfall auf Anfrage mitteilte, wird diese Berliner Gesellschaft mit all ihren Tochtergesellschaften für steuerliche Zwecke als eine Einheit behandelt – eine sogenannte Organschaft. „Das bedeutet, dass alle Gewinne und Verluste der Tochter-Unternehmen bei der Vattenfall GmbH zusammengefasst werden und dort einheitlich die Steuern ermittelt werden“, schreibt der Konzern. „Die Gewerbesteuer der GmbH wird dann nach einem bestimmten Schlüssel auf alle Gemeinden verteilt, in denen Vattenfall wirtschaftlich aktiv ist (Gewerbesteuerzerlegung). Derzeit erfolgt die Zerlegung je zur Hälfte nach der Anzahl der in der Gemeinde wohnenden Arbeitnehmer und nach dem Wert des Betriebsvermögens in der jeweiligen Gemeinde.“


Abschreibungen senken Vattenfalls Gewinne

Für 2014 haben VEG und Vattenfall GmbH bisher noch keine Geschäftsberichte vorgelegt. Nach bisher verfügbaren Informationen soll es allerdings einen starken Gewinnrückgang im deutschen Stromgeschäft des schwedischen Konzerns gegeben haben. Dazu trugen hohe Sonderabschreibungen für das Steinkohle-Kraftwerk Moorburg in Hamburg bei, das Vattenfall gerade erst gegen einen starken Widerstand in der örtlichen Bevölkerung errichtet hatte. Außerdem sollen Wertberichtigungen für das Braunkohlegeschäft in Deutschland notwendig gewesen sein. Nach Auskunft des Konzerns führt dies für die Kommunen der Kraftwerks-Standorte voraussichtlich zu einer Halbierung der Gewerbesteuer-Zahlungen im Jahr 2015 und zu Steuererstattungen für das Jahr 2014, die im Jahr 2016 anfallen. Wieviel Gewerbesteuer Vattenfall im Jahr 2014 bereits für den Block R des Kraftwerks Lippendorf an die Standortgemeinde Neukieritzsch gezahlt hatte und nun zurückfordern will, war auf Anfrage nicht zu erfahren.

Die Führung des schwedischen Staatskonzerns trägt sich bereits seit längerer Zeit mit dem Gedanken, seinen Lippendorfer Kraftwerksblock zu verkaufen. Nachdem vor einem Jahr in der Heimat die Regierung gewechselt hatte, stellte Vattenfall sogar die Weichen für einen Verkauf des gesamten deutschen Braunkohlegeschäfts mit seinen 8.000 Mitarbeitern. Ende September veröffentlichte der Konzern ein entsprechendes Verkaufsangebot, das auch eine Option auf seine zehn Pumpspeicher- und Wasserkraftwerke in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt enthält. Bis zum 6. Oktober haben mögliche Käufer nun Zeit, ihre Angebote abzugeben.

Als Interessenten gelten vor allem der tschechische Energie- und Industriekonzern EPH Energetický a průmyslový holding und der tschechische Stromkonzern ČEZ. Diese Partner hatten bereits im Jahr 2009 gemeinsam den ostdeutschen Braunkohleförderer Mibrag erworben, der das Kraftwerk Lippendorf mit Brennstoff versorgt. Später hatte ČEZ seine Mibrag-Anteile an EPH verkauft. Neben den beiden tschechischen Konzernen sollen früheren Presseberichten zufolge auch Finanzinvestoren wie KKR, Blackstone und CVC an den Kraftwerken und Tagebauen interessiert sein. Als Schätzwerte für Vattenfalls Braunkohlesparte wurden bisher Summen zwischen zwei und dreieinhalb Milliarden Euro genannt.


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