Industrieunternehmen nutzen bisher vor allem fossile Energieträger, um Prozesswärme für ihre Produktionsverfahren zu erzeugen. Auf dem Weg zur Klimaneutralität werden sie mehr erneuerbare Energien und eigene Abwärme anwenden müssen. Die technischen Lösungen und Konzepte dafür stehen vor dem Sprung aus der Forschung in die Praxis.

Windpark bei Oschatz 2021 2 gross

Windstrom kann Prozesswärme für eine Keksfabrik liefern. Foto: Stefan Schroeter


Die Industrie braucht viel Prozesswärme für ihre Produktionsprozesse. Im Jahr 2020 hat sie 440 Terawattstunden dafür eingesetzt. Das entspricht immerhin 19 Prozent des gesamten deutschen Endenergiebedarfs. Diese gewaltige Energiemenge hat die Industrie weitaus überwiegend aus fossilen Energieträgern erzeugt. Nur ein sehr kleiner Anteil von sechs Prozent stammte aus erneuerbaren Energieträgern.

 

Diese Zahlen nannte der Energieforscher Dietmar Schüwer bei der Jahrestagung des Forschungsverbunds Erneuerbare Energien im Oktober 2022 in Berlin. Am Wuppertal-Institut und gemeinsam mit Forschenden anderer Institute arbeitet er an Methoden, mit denen die Industrie ihre Produktionsprozesse in den nächsten zwei Jahrzehnten klimaneutral gestalten kann.

 

Die Industrie benötigt Prozesswärme in sehr unterschiedlichen Formen und Temperaturbereichen. Während in der Nahrungsmittel-Industrie oft schon relativ niedrige Temperaturen unter 100 Grad Celsius ausreichen, braucht die Glasindustrie für ihre Schmelzwannen sehr hohe Temperaturen.

 

Schüwer sieht gute Möglichkeiten, diese Temperaturbereiche mit erneuerbaren Energien abzudecken: So kann die tiefe Geothermie bis zu 180 Grad heißen Prozessdampf liefern, der für Trocknungsverfahren in der Papierindustrie nötig ist. Die Solarthermie kann bis etwa 120 Grad Wärme bereitstellen. Das reicht für viele Prozesse in der Lebensmittel-Branche.

 

Mit grünem Wasserstoff und Biomethan lassen sich Temperaturen von 1.200 Grad erzielen, mit denen die Wärmebehandlung von Stahl möglich wird. Grüner Wasserstoff und erneuerbarer Strom können auch die Schmelzwannen der Glasindustrie auf die nötigen 1.500 Grad erhitzen.

 

Heiße Solarwärme

Sogar eine spezielle Form der Solarthermie sieht der Energieforscher auch in unseren Breitengraden als geeignet an, Prozesswärme mit bis zu 400 Grad zu liefern. Um diese hohe Temperatur zu erreichen, ist allerdings eine konzentrierende Solartechnik mit Parabolspiegeln und Wärmespeichern nötig. Schüwer konnte dabei auf eine kommerzielle Prozesswärme-Anlage in Belgien verweisen, die derzeit mit dieser Technik gebaut wird und demnächst in Betrieb gehen soll.

 

Der Wuppertaler Energieforscher hatte bis zum vergangenen Jahr 2021 noch die Erfahrung gemacht, dass die Solarthermie bei Industrieunternehmen kaum eine Rolle gespielt hat. Als Grund nannte er günstige Gaspreise. Nun stellte er fest: „Das ändert sich jetzt gerade.“

 

Auch sein Kollege Panagiotis Stathopoulos vom Cottbuser Institut für Dekarbonisierte Industrieprozesse hält Parabolrinnen-Kollektoren unter deutschen Klimabedingungen für geeignet. Er berichtete über Betriebserfahrungen einer solchen Kollektoranlage, die ebenfalls in Belgien schon einen 165 Grad heißen Sattdampf für einen Chemiebetrieb liefert.

 

Stathopoulos hält es auch für möglich, eine Parabolrinnen-Anlage um eine Hochtemperatur-Wärmepumpe zu ergänzen. Dann könnte die Parabolanlage die benötigte Wärme liefern, so lange die Sonneneinstrahlung dafür ausreicht. Reicht sie nicht mehr, sorgt die Wärmepumpe dafür, die Wärme auf das nötige Temperaturniveau zu heben.

 

Hochtemperatur-Wärmepumpen sieht Stathopoulos auch als geeignet, um die oft reichlich verfügbare Industrie-Abwärme zu nutzen. Solche Abwärme kann beispielsweise mit Temperaturen von 50 bis 100 Grad anfallen. Um sie zu Prozesswärme zu verarbeiten, muss sie stark erhitzt werden. Spezielle Wärmepumpen könnten das leisten. Allerdings musste der Forscher feststellen, dass Wärmepumpen schon in einem Temperaturbereich von 200 Grad Celsius kaum am Markt verfügbar sind.

 

Pilotanlagen und Groß-Wärmepumpen

Das Cottbuser Institut hat deshalb zwei Pilotanlagen zweier unterschiedlicher Hochtemperatur-Wärmepumpen in einem kleinen Leistungsbereich entwickelt und aufgebaut. Sie nutzen Abwärme mit 50 bis 100 Grad und liefern Prozesswärme mit bis zu 330 Grad.

 

Außerdem sind die Cottbuser gemeinsam mit Kollegen aus den Niederlanden und Dänemark, drei Herstellern von Wärmepumpen und drei Industrie-Anwendern am europäischen Spirit-Projekt beteiligt, das auf die Entwicklung von großen Wärmepumpen mit Leistungen über 4 Megawatt zielt.

 

Erneuerbare Wärme und Abwärme können dann am besten genutzt werden, wenn sie sich eine Zeit lang speichern lassen. An Hochtemperatur-Wärmespeichern für diesen Zweck arbeitet Annelies Vandersickel am Institut für Technische Thermodynamik in Stuttgart.

 

Sie berichtete über ein Forschungsprojekt der Europäischen Union, in dem die thermische Vorbehandlung von Mangan-Erzen mit Temperaturen von 800 Grad Celsius entwickelt werden soll. Ein anderes EU-Projekt zielt darauf, Solarwärme für die Pasta-Herstellung zu nutzen.

 

Windwärme für die Keksfabrik

Auch unregelmäßig verfügbarer Windstrom kann mit Hochtemperatur-Wärmepumpen und einem Wärmespeicher dazu dienen, Prozesswärme für die Industrie bereitzustellen. Als Beispiel dafür stellte Vandersickel ein Dampfversorgungs-Konzept für eine Keksfabrik vor.

 

Wenn Windstrom preiswert aus dem Stromnetz verfügbar ist, werden die Hochtemperatur-Wärmepumpen eingesetzt, um den Wärmespeicher zu beladen. Wenn Strom teuer ist, kann die Wärme wieder aus dem Speicher abgerufen werden. Damit trägt der Speicher dazu bei, aus einem unregelmäßigen Stromangebot einen kontinuierlichen Wärmestrom zu erzeugen.

 

Besonders viel Abwärme fällt in Gießereien an. Die Thermodynamikerin stellte einen Wärmespeicher im Labormaßstab vor, der am Zentrum für Angewandte Energieforschung Bayern in Würzburg entwickelt wurde. Er kann Gießerei-Abwärme aus einem Schmelzofen auffangen und auf ein höheres Temperaturniveau bringen. Die aufgeheizte Abwärme lässt sich dann als Prozesswärme verwenden, um die Lacktrocknung zu unterstützen.

 

Die Forscher rechnen damit, dass so die Hälfte des Wärmebedarfs der Lacktrockung gedeckt werden kann. Nachdem sich das Laborgerät in mehreren tausend Aufheiz- und Abkühlzyklen bewährt hat, ist nun ein größerer Demonstrator geplant.


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