Erst am Tag nach der Bilanz-Pressekonferenz offenbart der Stadtwerke-Geschäftsbericht, dass sich die Finanzströme ganz erheblich verändert haben. Die steigenden Kostenbelastungen der Energiewende reicht das Unternehmen zu seinen Grundversorgungs-Stromkunden durch.

Leipziger Stadtwerke Hauptsitz gross

Rein äußerlich haben sich am Hauptsitz der Stadtwerke Leipzig nur die Schriftzüge auf dem Dach verändert. Foto: Stefan Schroeter


Auf den ersten Blick scheint das Geschäftsjahr 2016 für die SWL Stadtwerke Leipzig nicht sehr dramatisch verlaufen zu sein. Der Gewinn nach Steuern, der traditionell an die stadteigene Dachgesellschaft LVV Leipziger Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft abgeführt wird, stieg um 9,7 Millionen Euro auf 64,1 Mio. Euro. Auf der gestrigen Bilanz-Pressekonferenz erklärte LVV-Geschäftsführer Norbert Menke diesen moderaten Gewinnanstieg zum einen mit der erneut kühleren Witterung und dem daraus resultierenden Mehrabsatz im Wärmemarkt sowie einem wirtschaftlicheren Betrieb der Gas- und Dampfturbinen-Anlage. Außerdem hätten die Stadtwerke verschiedene frühere Streitfälle mit Gas-Vorlieferanten zu ihren Gunsten abschließen und so einen zweistelligen Millionenbetrag erlösen können.

Hinter diesen unauffälligen Informationen verbergen sich tatsächlich ganz erhebliche Veränderungen der SWL-Finanzströme, die sich erst bei genauerer Betrachtung des Geschäftsberichts offenbaren. Möglich war dies allerdings auch nur mit Zeitverzug: LVV hatte die Geschäftsberichte der Dachgesellschaft und der drei Tochterunternehmen nicht wie allgemein üblich zur Bilanz-Pressekonferenz vorgelegt, sondern erst einen Tag später im Internet veröffentlicht.

Welche hohen Millionenbeträge bei SWL in andere Richtungen als zuvor geflossen sind, lässt sich zumindest ansatzweise aus der Gewinn- und Verlustrechnung herauslesen. Hier zeigen sich zunächst drei große Posten, die sich gegenüber dem vorangegangenen Geschäftsjahr 2015 stark verändert haben und sich mit insgesamt 106,3 Mio. Euro gewinnmindernd auswirken. Das ist erstens der Umsatz, der um 45,4 Mio. Euro auf 1,93 Milliarden Euro zurückgegangen ist. Sogar noch stärker wirken sich die „sonstigen betrieblichen Erträge“ aus, die um 60,9 Mio. Euro auf 38 Mio. Euro zurückgegangen sind. In diese Kategorie gehören beispielsweise die oben erwähnten Streitfall-Erlöse. Der dritte große Verlustposten sind die Abschreibungen, die um 24,5 Mio. Euro auf 46,9 Mio. Euro hochgefahren wurden.

 

Erhebliche Effekte

Dass SWL diese negativen Einflüsse verkraften und sogar einen höheren Gewinn ausweisen konnte, verdankt das Unternehmen vor allem zwei Kennzahlen, die sich überaus positiv entwickelt haben. Die erste und wichtigste ist der Materialaufwand, der um die geradezu unglaublich hohe Summe von 134,9 Mio. Euro auf 1,71 Mrd. Euro zurückging. Ein deutlich kleinerer, aber immer noch erheblicher Effekt ergibt sich aus den „sonstigen betrieblichen Aufwendungen“. Sie sanken um 25,8 Mio. Euro auf 101,3 Mio. Euro. Beide Kennzahlen zusammen ergeben einen gewinnsteigernden Einfluss von 160,9 Mio. Euro.

Die Aufrechnung allein dieser fünf größten Posten ergibt gegenüber 2015 einen gewinnsteigernden Effekt von 30,1 Mio. Euro. Dass der tatsächliche Gewinnanstieg am Ende auf moderate 9,7 Mio. Euro gedämpft wurde, lag an zahlreichen kleineren Kostensteigerungen und rückläufigen Erträgen.

Die großen Veränderungen, die sich in der Gewinn- und Verlustrechnungen von SWL zeigen, wurden auf der Bilanz-Pressekonferenz nicht thematisiert oder erklärt. Eine mögliche, wenn auch indirekte und schwer verständliche Erklärung findet sich im SWL-Geschäftsbericht:

„Unter Berücksichtigung der Neudefinition der Umsatzerlöse im Rahmen der Umsetzung des Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetzes [nachfolgend BilRUG] wurde im Jahr 2016 die Gewinn- und Verlustrechnung angepasst. Für das Jahr 2015 erfolgte lediglich die Umgliederung des außerordentlichen Ergebnisses, wodurch die Vergleichbarkeit mit dem Vorjahr eingeschränkt ist. Des Weiteren ist das Geschäftsjahr 2016 durch die Verschmelzung der RETIS auf die Stadtwerke geprägt. Hierbei wurde das Gas- und Fernwärmenetz auf die Stadtwerke übertragen. Daraus resultieren veränderte Darstellungen in der Gewinn- und Verlustrechnung sowie in der Bilanz.“

 

Steigender Strompreis

Ein Thema, über das zum Zeitpunkt der Bilanz-Pressekonferenz bereits konkrete Informationen vorlagen, war die Preiserhöhung für die Grundversorgungs-Strompreise. SWL hatte am 7. November 2016 in einer zeitweise nicht mehr online verfügbaren Pressemitteilung angekündigt, zum 1. Januar 2017 den Arbeitspreis für einen Privatkunden brutto um 0,96 Cent je Kilowattstunde und den Grundpreis brutto um 5,95 Euro im Jahr anzuheben. Für einen grundversorgten Haushalt mit einem durchschnittlichen Jahresverbrauch von 1.800 kWh bedeute dies brutto Mehrkosten in Höhe von 1,94 Euro im Monat oder 23,23 Euro im Jahr. Begründet wurde diese Preiserhöhung mit höheren Netzentgelten des Übertragungsnetz-Betreibers 50 Hertz und der gestiegenen Umlage für Strom aus erneuerbaren Energien, die auch als EEG-Umlage bekannt ist.

Diese Begründung ist für sich gesehen nachvollziehbar. Andererseits hatte bereits im Jahr 2012 eine Analyse ergeben, dass der Grundversorgungs-Strompreis in Leipzig mit deutlichem Abstand über den Grundversorgungs-Strompreisen in benachbarten Großstädten  liegt. Die Stromkunden, die aus den verschiedensten Gründen nicht in der Lage sind, aus der teuren Grundversorgung in einen etwas weniger kostspieligen Tarif zu wechseln, werden daher in Leipzig besonders stark belastet. Hinzu kommt, dass die steigenden Kosten der Energiewende ohnehin über Netzentgelte und EEG-Umlage weitgehend auf kleine und mittlere Stromkunden abgewälzt werden. Das steht ganz sicher im Widerspruch zum Gedanken der sozialen Gerechtigkeit, der neuerdings auch wieder stärker von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands thematisiert wird. Diese Partei stellt in Leipzig immerhin den Oberbürgermeister Burkhard Jung und eine große Fraktion im Stadtrat.

Ist es dann der richtige Weg, höhere Belastungen bei EEG-Umlage und Netzentgelten einfach an die Kunden der Strom-Grundversorgung durchzureichen? Oder könnte ein Unternehmen, das eine Eigenkapitalrendite von 25,6 Prozent und regelmäßig ansehnliche Gewinne erwirtschaftet, solche Belastungen auch einmal auffangen?

In seiner Antwort auf diese Fragen räumte SWL-Geschäftsführer Johannes Kleinsorg zwar ein, dass die Kosten der Energiewende besonders die Stromkunden in Ostdeutschland stark und nicht sozial gerecht belasten. Hier seien Veränderungen notwendig. Die Stadtwerke könnten aber keine Sozialleistungen erbringen. Menke sprach sich dafür aus, die Energiewende-bedingten Kosten auf alle Teilnehmer des Energiemarktes zu verteilen. Jung äußerte sich nicht zu diesem Thema.

Der Oberbürgermeister und die leitenden LVV-Angestellten haben natürlich auch noch viel größere Sorgen. Derzeit wird an einem Londoner Berufungsgericht ein langwieriger Rechtsstreit der Kommunalen Wasserwerke KWL mit der Schweizer Großbank UBS verhandelt, in dem es um eigenmächtige und verlustreiche Finanzgeschäfte zweier früherer KWL-Geschäftsführer geht. Jung, Menke und sein LVV-Geschäftsführerkollege Volkmar Müller zeigten sich zwar zuversichtlich, diese Auseinandersetzung bis zum Jahresende erfolgreich beenden zu können. Doch Müller bezeichnete den Streit auch als „Damoklesschwert“ und bezifferte das damit verbundene Risiko für LVV weitgehend unverändert mit 500 Mio. Euro.


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